Montag, August 30, 2004

Jungle World 36/2004 - Fast noch ein Märtyrer

Im thüringischen Altenburg schoss ein Polizist einen Neonazi beim Kleben von Heß-Plakaten an. Noch am selben Tag demonstrierten über 200 Rechtsextreme in der Stadt. von peter conrady Die Aufregung war groß bei ostdeutschen Neonazis am 17. August. SMS-Nachrichten und Mitteilungen in diversen Internetforen schreckten die Szene auf. Mitgeteilt wurde ein »staatlicher Mordversuch auf Nationalisten«. Was war geschehen? Der Tag, an dem 1987 Rudolf Heß, der in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen verurteilte ehemalige Stellvertreter Adolf Hitlers, im Gefängnis Berlin-Spandau Selbstmord beging, gilt für die extreme Rechte als Gedenktag des »ermordeten Friedensfliegers«. Traditionell ziehen in den Nächten vor diesem Datum Neonazis durch Deutschlands Straßen und kleben Aufkleber und Plakate, die den angeblichen Mord anprangern und den Nationalsozialisten verherrlichen. Das taten sie in diesem Jahr auch im ostthüringischen Altenburg. In den frühen Morgenstunden des 17. August plakatierten zwei junge Neonazis in dem Ort Plakate zur Verherrlichung von Rudolf Heß und wurden dabei von einem Anwohner beobachtet. Dieser rief die Polizei. Als die Beamten eintrafen und die Plakatkleber festnehmen wollten, wurde ein 18jähriger Neonazi durch einen Schuss aus einer Dienstwaffe eines Polizisten am Oberarm verletzt und musste in stationäre Behandlung gebracht werden. Während die Polizei zunächst davon sprach, dass der Schuss sich während eines Handgemenges bei der Festnahme der zwei Neonazis aus der Dienstwaffe des Polizisten gelöst habe, sprechen die Neonazis von einem »staatlichen Mordversuch«. Mittlerweile gibt die Polizei an, bei der Flucht der Täter über einen Zaun habe sich der Schuss aus der durchgeladenen Dienstwaffe gelöst. Der 36jährige Polizist wurde vom Dienst »freigestellt«. Die Sprecherin der zuständigen Polizeidirektion in Gera, Steffi Kopp, sagte der Jungle World, dass dies in keiner Form einer Suspendierung gleichkomme. Vielmehr sei dies in solchen Fällen üblich, um es dem betroffenen Beamten zu ermöglichen, leichter die erlebte psychische Extremsituation zu verarbeiten. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Beamten wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung ein. Geklärt werden soll, aus welchem Grund er die Waffe in der Hand gehalten habe, als er die zwei Tatverdächtigen verfolgte. Bislang geht die Polizeidirektion davon aus, dass in der engen Straße die Lage »völlig unübersichtlich« gewesen sei. Zudem sei der Beamte alleine gewesen, da die zwei Kollegen, die ihn begleiteten, einen anderen Weg zur Verfolgung genommen hätten, erklärte die Pressesprecherin weiter.

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