Donnerstag, September 30, 2004

Jungle World - Braun und bürgernah

Sie gründen Bürgerinitiativen und organisieren Sportfeste. In Vorpommern etablieren sich die Rechtsextremen in der Mitte der Gesellschaft Die jüngsten Wahlerfolge der NPD und der DVU in Sachsen und Brandenburg erhielten viel Aufmerksamkeit. Die beiden Bundesländer sind aber nicht die einzigen in Ostdeutschland, in denen Rechtsextremisten an Zulauf gewinnen. Die rechtsextreme Szene hat sich auch in Mecklenburg-Vorpommern, vor allem in Vorpommern, mittlerweile in der Gesellschaft verankern können und gilt Neonazis in ganz Deutschland als vorbildlich. »Erschreckend ist vor allem, wie selbstverständlich Rechtsextreme im Alltag präsent sind«, sagt die Expertin für Rechtsextremismus, Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung, über die Situation in Vorpommern. Wenn Rechtsextreme dort demonstrieren, gibt es nur selten Proteste dagegen. Offen treten sie als Nationalsozialisten auf. So sah man vor kurzem in einem Beitrag des ARD-Magazins Panorama, wie in dem Ort Wolgast ein Aktivist sich in einem Redebeitrag auf einer Demonstration über »die Herren« beklagte, »die meinen, nur weil wir Nationalsozialisten sind, nur deswegen gegen uns zu sein«. Der Bericht über die Neonazi-Szene in Ostvorpommern wurde im Internetforum des so genannten Freien Widerstands begeistert kommentiert. »Ich zieh nach Wolgast!«, schreibt unter anderem jemand mit dem Pseudonym »NS Punkrocker«. In den neunziger Jahren war die rechtsextreme Szene Vorpommerns geprägt von Skinheads, die sich in Bomberjacken auf der Straße herumtrieben. Das Jahr 2000 wurde für die Szene jedoch zu einem Wendepunkt, schildert rückblickend Günther Hoffmann vom Verein Bunt statt Braun aus Anklam. In diesem Jahr wurden in Heringsdorf auf der Insel Usedom und in Greifswald zwei Obdachlose umgebracht. Nach diesen Vorfällen schwand zunächst die Attraktivität der Skinheadszene. Nach außen hin war die rechte Szene nun weniger sichtbar. Tatsächlich jedoch professionalisierten sich ihre Akteure. Sie bauten ihre Strukturen aus, verstärkten ihre gesellschaftlichen Verbindungen und wählten eine bewusst bürgernahe Strategie. Die NPD kam bei den Kommunalwahlen im Juni 2004 in einzelnen Orten der Region auf bis zu zwölf Prozent der Stimmen. Dennoch ist sie nicht der Hauptakteur unter den Rechtsextremen, wie der Verfassungsschutz von Mecklenburg-Vorpommern bestätigt. »Organisiert sind die ideologisch gefestigten Angehörigen der Skinhead- und Neonaziszene zumeist in ›Kameradschaften‹ oder ähnlichen Zusammenschlüssen«, berichtet die Behörde über das Jahr 2003. Vernetzt sind die Kameradschaften in Vorpommern über die »Pommersche Aktionsfront«. Aus deren Umfeld stammt auch das Blatt Der Insel Bote, von dem zumindest nach Angaben der Rechten alle zwei Monate 30 000 Stück in der Region kostenlos verteilt werden. Um sich bürgernah darzustellen, treten die Rechtsextremen in jüngster Zeit als Bürgerinitiativen auf. »Bürgerinitiative schöner und sicherer Wohnen in Ueckermünde« oder »Bürgerinitiative schöner Wohnen Wolgast«: Der Verfassungsschutz bestätigt, dass es sich hierbei um »(Tarn)Bezeichnungen« von Kameradschaften handelt. Ein Mitglied aus Wolgast erklärte im Fernsehen: »Auf einmal sind die Themen interessant geworden für die Bürger, und es sind dieselben Themen, bloß der Name hat sich geändert.«

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