Dienstag, November 09, 2004

taz 9.11.04 Die braune Mitte

Fußball, Lieder, Demos: In Vorpommern greift der rechte Mainstream Ein verwinkelter Garagenkomplex im Plattenbauviertel am Rande von Ueckermünde in Vorpommern: Neonazis haben es sich hier bequem gemacht mit Sofas, selbst gebautem Tresen, Schlafmöglichkeiten und Musikanlage. An lauen Sommerabenden dröhnen hier die Lieder der Naziband "Landser". Über allem weht die schwarz-weiß-rote Fahne mit dem Reichsadler. Anwohner lassen keine Berührungsängste erkennen. Neben den Garagen der "Aryan Warriors" werkeln am Wochenende Familienväter an ihren Mittelklassewagen. Ob sie die Präsenz der Rechten stört? "Seitdem die hier sind, werden keine Autos mehr geklaut", sagt eine Anwohnerin. Auch von offizieller Seite betrachtet man die rechte Idylle in der "schönsten Stadt" am Stettiner Haff resigniert: Einige der Garagen seien von den "arischen Kriegern" gekauft worden, rausschmeißen könne man die nun nicht mehr. Die Stadt verlassen in diesen Tagen andere: Knapp 150 Flüchtlinge hätten aus einer abgelegenen ehemaligen Kaserne mitten im Wald umziehen sollen ins Stadtzentrum von Ueckermünde. Damit wollte der Landkreis Uecker-Randow den so genannten Dschungelheim-Erlass der Landesregierung umsetzen. Der sieht vor, Flüchtlingsunterkünfte zu schließen, die fernab jedes Supermarkts und jeder Schule in ehemaligen NVA-Kasernen und Baracken untergebracht sind. Doch in den Landkreisen Uecker-Randow und Ostvorpommern hat die extreme Rechte erfolgreich gegen neue Heimstandorte mobilisiert. Zuletzt in Ueckermünde, wo eine "Bürgerinitiative schöner und sicherer wohnen in Ueckermünde" im Frühsommer knapp 2.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren unter dem Motto "Nein zum Asylantenheim" sammelte. Hinter der Initiative standen die vier neonazistischen Kameradschaften der Kleinstadt. Überregional gilt Ueckermünde seit dem erfolgreichen Schulterschluss zwischen Bürgern und Neonazis als Modell für die extreme Rechte. Einzige Kritik: Die Ueckermünder Kameraden hätten bei so viel Zustimmung aus der Bevölkerung gleich auch noch zu den Kommunalwahlen antreten sollen. "Viele Bürger haben erklärt, dass sie nicht unterschrieben hätten, wenn sie gewusst hätten, dass Neonazis dahinter standen", sagt Pfarrer Hans Lücke (54). Der Seelsorger will der "Atmosphäre der Einschüchterung" entgegentreten und gründete gemeinsam mit Ärzten, Lehrern und Kirchenleuten das überparteiliche Bündnis "Bürger für Integration, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie" (Bird). Schockiert hat ihn, dass es den Neonazis mit der Frage des Flüchtlingsheimumzugs erneut gelungen ist, "gesellschaftliche und kommunale Themen zu bestimmen".

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