Dienstag, November 09, 2004

taz 9.11.04 Die Nazis machen es uns vor

Niemand hat die Chancen der Wiedervereinigung so erfolgreich genutzt wie die Rechtsextremisten Man kann nicht behaupten, die deutsche Einheit habe keine Erfolgsgeschichte. Eine, wo der Westen vom Osten wirklich Entscheidendes lernt und es nicht nur behauptet. Wo der Osten die Erfahrungen des Westens neidlos anerkennt und entsprechend handelt. Und wo um Gemeinsames gerungen wird und am Ende etwas Neues und Innovatives entsteht. Doch, das gibt es. Und das beste Beispiel dafür sind unsere Nazis. Als die Mauer fiel, fürchteten viele - vor allem im Ausland -, nun würde Deutschland erneut nach rechts driften. Vermutlich auch, weil Klischees so stupide sind. Doch hierzulande mochte man nicht ermahnt werden. Nicht jetzt, in der Stunde der Seligkeit. Und in aller Ruhe konnte die extreme Rechte etwas völlig Neues aufbauen. Wie haben sie das gemacht? Sie haben genau hingesehen, ihre Chancen erkannt, das Potenzial des Ostens richtig eingeschätzt und Schritt für Schritt auch neue Organisationsformen - etwa "Kameradschaften" - schätzen gelernt. Sie haben Themen gesetzt, in Bewegungen und Stimmungen eingebracht und sich nicht gewehrt gegen den rauen sozialrevolutionären Wind, der aus dem Osten wehte. Im Gegenteil. So wurde die NPD der Rechtskonservativen und Altnazis langsam zu einer Partei neuen Typs mit vielen Aktionsformen und durch den Osten inspirierten frischen Debatten. Die Kameradschaften und ihre Netze sind ein echtes Nachwendeprodukt. Hier hat der Osten gezeigt, wie es gehen kann. Zwischen autonom und führerorientiert dominierten die Kameradschaften bald ganze Landstriche im Osten, während die intellektuelle Verarbeitung und Übersetzung in Strategien als Gemeinschaftswerk auch auf den Westen auszustrahlen begann. Das verlief zwar nicht ohne Probleme und Rivalitäten, doch schließlich war die Herausforderung, aus Ost und West etwas Neues zu machen, verlockend. Und wirklich, bei den Nazis spielen Ost-West-Probleme heute kaum eine Rolle. Nazigrößen wie Steffen Hupka lockte es in den Osten. Er kaufte das Schloss Trebnitz in Sachsen-Anhalt, Günther Deckert ließ sich im sächsischen Gränitz nieder, und Thorsten Heise hat sich im thüringischen Fretterode ein Fachwerkhaus zugelegt. Doch nicht die günstigen Liegenschaften allein machten den Osten so anziehend für sie. In jeder Klein- oder Großstadt bildeten sich Gruppen - mal Kameradschaften genannt, mal Heimatschutzbund -, die mit wenig oder gar keiner Konkurrenz den Alltag beeinflussten. Sie sind aktiv, zeigen Initiative und organisieren sich. Eine echte Aufbruchstimmung seit 1989.

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