Mittwoch, Dezember 01, 2004

Jungle World ��� 50/2004 Antifa ��� Disziplin und TNT

m Prozess um den geplanten Anschlag auf das jüdische Zentrum in München schweigt der Hauptangeklagte Wiese. Ein Mitangeklagter gibt sich naiv und unschuldig. Martin Wiese grinst, als er in Handschellen in den Saal A 101/I des Münchner Strafjustizzentrums in der Nymphenburger Straße geführt wird. Das mag an der Strategie seiner Verteidigerin Anja Seul liegen, die ihn in dem Prozess, der in der vorigen Woche eröffnet wurde, als Opfer des V-Mannes Didier Magnien darstellen will, der Wieses »Inspiration und zweites Gehirn zugleich« gewesen sei. Wenn dem so sein sollte, könnte nach dem Flop im NPD-Verbotsverfahren auch die Verurteilung der vier Mitglieder der militanten Neonazi-Truppe Kameradschaft Süd gefährdet sein. Den vier Angeklagten wird zur Last gelegt, einen Sprengstoffanschlag auf die feierliche Grundsteinlegung des neuen jüdischen Zentrums am Münchner Jakobsplatz im Jahr 2003 geplant zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Quartett die Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. (Jungle World, 39/03) Der 28jährige Wiese soll der Anführer der Kameradschaft gewesen sein. Er schweigt zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft. Sein Stellvertreter, der 28jährige Alexander Maetzing, ist hingegen umso gesprächiger. Der aus dem brandenburgischen Luckenwalde stammende Zimmerer gibt an, sich im »unpolitischen Skinhead-Milieu« bewegt zu haben, bevor er im Herbst 2002 zur Gruppe um Wiese gestoßen sei. Disziplin und Ruhe hätten dort geherrscht, »kein Rumgegröle«. Über die soziale Ungerechtigkeit, die Wohnungsnot und andere politische Themen habe man diskutiert; das Ziel des Stammtischs sei es gewesen, »gewaltfrei politisch zu arbeiten«. Als er gefragt wird, wofür sich die Gruppe im Frühjahr 2003 Sprengstoff und Waffen besorgt habe, sagt Maetzing: »Das wussten wir noch gar nicht.« Über Pläne für den 9. November 2003 sei zwar in der so genannten Schutzgruppe, dem inneren Zirkel der Kameradschaft, hie und da geredet worden, er habe dies alles aber nicht sehr ernst genommen, erklärt Maetzing. »Es wurden Sachen dahingesponnen.« Es sei auch darüber geredet worden, Schweineblut zu verspritzen oder einen Anschlag auf das Münchner Rathaus zu verüben. Mit Antisemitismus hätten die Pläne für den 9. November gar nichts zu tun gehabt, beteuert Maetzing, als der Vorsitzende Richter Bernd von Heintschel-Heinegg sich nach seiner politischen Einstellung erkundigt. »Keiner von uns kann als Antisemit bezeichnet werden.« Niemand habe wegen des Datums an die »Reichskristallnacht« gedacht, sondern vielmehr an die 16 Toten des Hitler-Putsches vom 9. November 1923 sowie an den Tag des Mauerfalls 1989. Den Sprengstoff und die Waffen hatten die Neonazis in den neuen Bundesländern aufgetan. Zunächst wurden sechs Pistolen samt Munition besorgt. Hier soll Didier Magnien, ein französischer Rechtsextremist und V-Mann des Verfassungsschutzes, der Anklageschrift zufolge mit von der Partie gewesen sein. (Jungle World, 32/04) Die zweite Reise führte die Männer nach Polen, wo sie im Wald nach Minen Ausschau hielten. An echten Sprengstoff gelangten Wiese und seine Gefolgsleute, als sie sich den Kopf einer Panzerfaustgranate beschafften. Der Inhalt: 1,2 Kilo TNT.

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