Donnerstag, Juni 09, 2005

Der Wunsch, zu wissen und zu begreifen (Feuilleton, NZZ Online)

Neue Studien zum Antisemitismus in Frankreich Glaubt man Stimmen aus den Vereinigten Staaten oder aus Israel, wird Frankreich seit ein paar Jahren von einer Welle von Antisemitismus heimgesucht, die Leib und Gut der hiesigen Juden akut gefährdet. Wohl mögen solche Verlautbarungen mehr mit der französischen Kritik am zweiten Golfkrieg zu tun haben als mit der Realität vor Ort. Doch weist alles darauf hin, dass antisemitische Reden und Handlungen sich hierzulande tatsächlich mehren. (...) Um die Schlussfolgerungen der Studie vorwegzunehmen: Der französische Antisemitismus existiert, aber er ist «weniger stark, weniger präsent, auch weniger eindeutig», als die Forscher es erwartet hatten. Es handelt sich um ein fragmentiertes Phänomen, mitnichten um eine kohärente, massive Bewegung, die durch mächtige soziale oder politische Gruppen getragen wird. Die Quellen, aus denen er sich speist, vom radikalen Islamismus über die französischen Ausläufer des Nahost-Konflikts bis zum Links- und Rechtsextremismus, sind heterogen und einander oftmals geradezu entgegengesetzt. So werden die Juden von manchen, die sich - wie Rechtsnationale und katholische Integristen - mit Frankreich identifizieren, als eine Bedrohung von aussen empfunden. Andere jedoch, etwa viele tagtäglich selbst dem Rassismus ausgesetzte Muslime, nehmen die Juden als Musterbeispiele einer ebenso erfolgreichen wie eigennützigen Integration wahr - einer Integration, die die Ausgrenzung der Muslime aus dem Innern der Gesellschaft befördere.

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