Donnerstag, Oktober 21, 2004

Antifaschistisches Infoblatt - Zwischen Konkurrenz und Zweckbündnissen

Eine Abwechslung wollte der Hamburger Neonazi Christian Worch den Kameraden bieten. Mal etwas anderes als die immergleichen Märsche vom Bahnhof in Richtung des Völkerschlachtdenkmals, das dann doch nie erreicht wird. Doch im Leipziger Stadtteil Connewitz bringt die versuchte Übernahme des eigenen Kiezes an einem sonnigen Sonntag rund 4 000 Menschen gegen den Neonaziaufmarsch auf die Straße, unter ihnen gut 1 000 Antifas. Ab Mittag treffen sich vor dem »Volkshaus« der Gewerkschaften Jusos, StadträtInnen der PDS, GewerkschafterInnen und lokale Kulturschaffende, es wird zur friedlichen Blockade aufgerufen. Bierbänke werden auf die Straße gestellt, Transparente mit der Aufschrift »Bunt statt Braun« ausgerollt. Währenddessen sammeln sich circa 1 000 Antifas am Treffpunkt der Neonazis, umringen die Polizei, in deren Kessel wiederum Worch und rund 150 KameradInnen stehen. Unter diesen finden sich einige, die eine Woche vorher in Chemnitz die Antifademonstration gegen den Naziladen »Backstreetnoise« angegriffen haben. Den Versuch von Neonazis, eine gegnerische Demonstration zu blockieren, hatte es zwar bereits im Juni in Pirna gegeben, aber der gezielte Angriff in Chemnitz stellte ein Novum dar. Die Neonazis waren nicht nur wegen der Aussicht auf Freibier sowie Rabatte im Naziladen so offensiv vorgegangen. Auch die Ergebnisse der NPD bei den Kommunal- und Landtagswahlen haben die rechte Szene in Sachsen strukturell und in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt. So werten die KameradInnen den Erfolg der NPD auch als den ihren und sehen ihr Tun durch rund 200 000 sächsische WählerInnen bestätigt. Dass sie sich bei Aktionen stets auf ein allenfalls zögerliches Vorgehen der Polizei gegen sie verlassen können, haben zuletzt die Montagsdemonstrationen in Chemnitz, Dresden und anderen Städten bewiesen. Doch am 3. Oktober ist alles anders. Während auf der genehmigten Naziroute die Sitzblockaden beginnen, versuchen hunderte Antifas, den Nazis eine mögliche Ausweichroute abzuschneiden. Die 1200 eingesetzten Polizeibeamten sind mit der Situation offensichtlich überfordert. Hunderte Jugendliche bauen Barrikaden, zünden sie an, ziehen weiter und entwickeln dabei sportlichen Ehrgeiz. Es brennen Mülltonnen und die Deutschland-Fahne am Amtsgericht, Steine fliegen auf Polizisten. Einzelne Gruppen anreisender Neonazis machen in der Innenstadt unangenehme Erfahrungen mit Antifas und flüchten sich in den Schutz der Polizei. Im Süden sind die für Autos und Straßenbahnen gesperrten Straßen voller Menschen. Aus den Boxen auf Fensterbrettern dröhnen Musik und Infos des freien Radios. Sogar Worch stellt »Radio Blau« ein, um auf dem Laufenden zu bleiben. Sein Gerät hat jedoch Schwierigkeiten, die Sprechchöre der gutgelaunten Menge zu übertönen, die hinter der Polizeiabsperrung steht: »Wir warten, wir warten!«, »Kesselgulasch!« oder »Ohne den Verfassungsschutz wärt ihr nur zu zehnt.« Die von der Polizei geschützten Neonazis in der von Büschen umgebenen Seitenstraße wirken ziemlich armselig. Dazu kommt, dass einige die Aufdrucke auf ihren T-Shirts, manche auch die Tattoos auf ihren Glatzen mit den gelben Smileys der Polizei bekleben müssen. Selbst das Logo des brandenburgischen Kleidungsherstellers »Thor Steinar« ist erstmals von der Polizei untersagt worden, weil es »Werbung für den Nationalsozialismus« darstelle. Die Marke ist derzeit der Renner in den einschlägigen Läden der Szene – zum Beispiel im »Backstreetnoise« in Chemnitz. »Thor Steinar« oder auch »Rizist« stehen für den Trend, äußerliche Klischees über Bord zu werfen und sich in bislang nicht rechten Subkulturen einzurichten.

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