Donnerstag, Oktober 28, 2004

Frankfurter Rundschau online - "'Die Neonazi-Szene hat zugenommen'"

Rechtsextreme siedeln sich in Wohngemeinschaften auf dem Land an / Stadt und Bürger halten sich zurück Neonazis machen sich in Hessen vermehrt auf dem Land breit. Im südhessischen Nidderau-Heldenbergen sorgt eine rechtsextreme Wohngemeinschaft für Unruhe. Im nordhessischen Wethen gründeten die Rechten sogar einen Sportverein, um Sympathien bei der Bevölkerung zu gewinnen. Mit gerade einmal 46 Teilnehmern wirkte der Neonazi-Aufmarsch am Wochenende in Marburg alles andere als kraftvoll. Dennoch warnen Experten davor, die Rechtsextremen zu unterschätzen. "Die Neonazi-Szene in Hessen hat deutlich zugenommen und ist deutlich selbstbewusster geworden", sagt Michael Weiss vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum APABIZ in Berlin der Frankfurter Rundschau. Nazi-Konzerte jahrelang geduldet Zwar habe der Gegendruck durch Polizei, Gesellschaft und nicht zuletzt Antifaschistische Gruppen dazu geführt, dass sich organisierte Neonazis aus den großen Städten zurückgezogen hätten. Doch dafür machten sie sich nun verstärkt auf dem Land breit - weniger im Sinne einer Strategie zur Schaffung "national befreiter Zonen", sondern eher, weil sie es dort leichter hätten. In Kirtorf etwa konnten jahrelang Nazi-Skinhead-Konzerte in der Scheune des Landwirts Bertram Köhler stattfinden, ehe der Vogelsbergkreis das vor einigen Wochen unterband. Die rechtsextreme Kameradschaft "Berserker Kirtorf" gibt es nach wie vor. Besondere Sorge bereitet Weiss ein Wohnprojekt um den einschlägig bekannten Bernd Tödter im nordhessischen Dörfchen Wethen im Kreis Waldeck-Frankenberg. In dem 500 Einwohner zählenden Ortsteil von Diemelstadt hat sich Tödter - Begründer der mittlerweile aufgelösten neofaschistischen Kameradschaft "Sturm 18 Cassel" und vorbestraft wegen Tötung eines Obdachlosen - zusammen mit knapp zehn Freunden in einem ehemaligen Gasthof angesiedelt. Eine kurdische Familie, die im selben Anwesen wohnte, haben die Neudörfler verjagt. Nachbarn berichten von lauter Neonazi-Musik und "Sieg-Heil"-Rufen. "Das hat auch in Hessen eine neue Qualität, was sich da in Diemelstadt abspielt", meint Weiss. Denn mit einem eigens gegründeten "Sportverein Wethen" werben Tödter und seine Mitbewohner um Sympathien insbesondere der Jugendlichen. "Für die rechten Jugendcliquen, die es überall auf dem Land gibt, wird sich Wethen zum Anlaufpunkt entwickeln", prophezeit Weiss.

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