Mittwoch, Juli 07, 2004
Jungle World - Eine Bombe schlägt ein
Der Bombenanschlag in Köln-Mülheim Anfang Juni hat zur Verunsicherung der dort lebenden Türken geführt. Von den Tätern fehlt jede Spur.
Verunsichert blickt der Wirt über die Theke. Die Nagelbombe? Nein, dazu könne er nichts sagen, wehrt er ab. Er sei nicht da gewesen, als sie explodierte, teilt er mit und taxiert den Fragenden misstrauisch. »70 Cent für das Fladenbrot!« Rasch kassiert der Mann und wendet sich ab, dem brutzelnden Kebap zu.
Anders geworden ist die Keupstraße in Köln-Mülheim, seit am 9. Juni dort eine Bombe explodierte. Sie war auf ein Fahrrad montiert, mit Fernzünder versehen und mit zehn Zentimeter langen Nägeln bestückt. Vor einem Friseurladen in der belebten Geschäftsstraße brachte der Täter sie gegen 16 Uhr zur Detonation. 22 Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. 14 Häuser wurden beschädigt, Fensterscheiben zersplitterten noch in einer Entfernung von 100 Metern, die Stahlstiftgeschosse durchschlugen mehr als ein Dutzend Autos. Es war ein Zufall, dass niemand ums Leben kam.
Leer ist die Keupstraße seitdem. Verschwunden sind die Plauderrunden vor den Dönerläden, weg ist die bunte Alltagsbetriebsamkeit. Im Viertel herrscht Angst vor einem erneuten Terrorakt. Viele meiden den Ort des Anschlags und ziehen sich in ihre Wohnungen zurück. Eine alte Frau mit Kopftuch schleppt Einkäufe nach Hause, ein paar junge Männer, zwanghaft unerschrocken, inspizieren unter lautem Gerede den Motor eines dunklen BMW. Ansonsten breitet sich drückende Stille über dem ehemals so lebendigen Ort aus. Die Bombe zeigt ihre Wirkung.
Wer auch immer der mutmaßliche Täter mit den blonden Haaren unter der Baseballkappe ist, von dem ein Fahndungsfoto existiert: Er muss gewusst haben, dass hauptsächlich Migrantinnen und Migranten seinem Anschlag zum Opfer fallen würden. In der Keupstraße dominiert die türkische Sprache. Türkische Restaurants, Lebensmittelläden und die üblichen Männercafés prägen die Szenerie. Von einer »orientalischen Inszenierung« spricht der Kölner Sozialwissenschaftler Erol Yildiz, er nennt das Straßenbild »eine Mischung aus einer Konzession an die Wünsche der Einwanderer und an die europäischen Orientvorstellungen«. Die Inszenierung ist gelungen. Als »Klein-Istanbul« ist die Keupstraße über Köln hinaus bekannt. Wer Türkisch sprechen oder türkische Waren kaufen will, geht dorthin.
Da der Anschlag ausgerechnet hier geschah, ist eine rassistische Botschaft der Bombe nicht auszuschließen. Zumal Kölner Rassisten derzeit in der Offensive sind. Nazischmierereien nehmen in Mülheim zu, berichtet Florian Meier von der Initiative Mülheim gegen Rechts. »Auf die Wand einer Moschee im Westen des Viertels wurde in großen Lettern ein Hakenkreuz und ›Frohe Ostern Kanaken‹ geschmiert, an der Fassade eines Supermarktes prangt ›Türken raus‹, ganz in der Nähe ›Kanakenbüttel verrecke‹.«
Vor allem die Bürgerbewegung Pro Köln macht konsequent Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten. Aufgebaut von dem rechtsextremen Politaktivisten Manfred Rouhs, versucht sich die Organisation seit Jahren in Kommunalpolitik und überzieht von Stadtviertel zu Stadtviertel die angeblich weltoffene Metropole mit Kampagnen, um die Kölnerinnen und Kölner zur offenen Äußerung rassistischer Ressentiments zu animieren.
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