Mittwoch, Mai 25, 2005
Jungle World ··· 21/2005 ··· Warten, bis der Krebs aufhört
In Tübingen demonstrierten rund 1 000 Menschen für den dubiosen »Naturheiler« Hamer
Die Teilnehmer an der Demonstration am 14. Mai in Tübingen hätten von ihrem Äußeren her der alternativen Szene angehören können. Auf Transparenten in mehreren Sprachen forderten sie »Freiheit für Doktor Hamer«. Wer jedoch meinte, einer Ansammlung von Menschenrechtsaktivisten beizuwohnen, lag völlig falsch. Den Protestierenden ging es um die Anerkennung der »Germanischen Neuen Medizin«, die der ehemalige Arzt Ryke Geerd Hamer begründet hat.
Vor gut zehn Jahren machte der Fall der kleinen Olivia Pilhar aus Österreich Schlagzeilen. Die Eltern des damals sechsjährigen Mädchens sind überzeugte Anhänger der »Neuen Medizin« und wollten die Krebserkrankung ihrer Tochter nach der Lehre Hamers »ausheilen lassen«, was so viel heißt wie, sie nicht zu behandeln. Vor dem drohenden staatlichen Zugriff flüchtete die Familie bis nach Spanien, zu Hamer persönlich, der die Erkrankung Olivias auf den übermäßigen Verzehr von Schnitzeln zurückführte. Nach einer Interpolfahndung konnten die Eltern mit ihrer Tochter ergriffen werden; sie wurde nach Österreich geflogen, gegen den Willen der Eltern operiert und gerettet. Helmut und Erika Pilhar erhielten später eine achtmonatige Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung. (...) Ungefähr seit dem Jahr 2002 und dem Namenswechsel zur »Germanischen Neuen Medizin« sind von Hamer antisemitische Äußerungen in seinen Mitteilungen an seine Anhänger, die im Internet nachzulesen sind, bekannt. Aus der ihn vermeintlich verfolgenden »Pharmalobby« wurden »Zionisten« oder »Juden«. Die Schulmedizin bezeichnete er als »jüdische Medizin«, und den Juden wirft er vor, seine Erfindung für sich zu benutzen und anderen zu verwehren. Ein »Weltoberrabbiner« und sein Boykott der »Germanischen Neuen Medizin« seien verantwortlich für viele Krebstote.
Hamers Anhänger Pilhar spricht von einer »Massenvernichtungsindustrie« in der normalen Medizin, der Meister selbst sieht sich als Insassen eines »Gulag-KZ«. Und die »Amici di Dirk« sind der Meinung: »Das konnte selbst in Russland unter Stalin nicht schlimmer sein.« All das scheint Hamers Lehre für Rechtsextreme attraktiv zu machen. So findet sich zum Beispiel auf der Homepage der NPD in Sachsen-Anhalt eine Vorstellung der »Germanischen Neuen Medizin«.
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