Donnerstag, September 08, 2005
taz 8.9.05 Propagandalektion für Waldorfschüler
Die Schülerin einer Waldorfschule lud NPD-Kader in den Politikunterricht; ihre Lehrerin tolerierte dies. Jetzt grübelt die Schulleitung über die Konsequenzen. Ein Auftrittsverbot für die NPD will auch die Bildungsbehörde nicht aussprechen
So nette Überraschungen erlebt die NPD selten in diesem Wahlkampf: Das Telefon klingelt, am Apparat ist eine Schülerin. Ob ein Vertreter der Partei wohl bereit wäre, ihrer zwölften Klasse der Freien Waldorfschule Treptow-Köpenick im Rahmen eines Unterrichtsprojekts zur Bundestagswahl seine Ansichten zu erläutern? Wie die Antwort lautete - man kann es sich denken. Während sich republikweit Politiker und Pädagogen mühen, rechtsextreme Wahlkämpfer und deren Propaganda wenigstens von den Schulhöfen fernzuhalten, passiert an einer Berliner Schule das Gegenteil. Man bittet die NPD hinein ins Klassenzimmer.
Vergangenen Donnerstag traten gleich zwei NPD-Nachwuchsrekrutierer vor die Waldorf-Klasse: eine Berliner Stützpunktleiterin der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) und der frühere Braunschweiger Waldorflehrer Andreas Molau, dessen Wechsel in die Chefredaktion des NPD-Blattes Deutsche Stimme im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht hatte.
Die Schulleitung erfuhr von der ungewöhnlichen Lehrstunde erst im Zuge der taz-Recherchen - und reagierte bestürzt. Die Aktion sei "nicht glücklich" gelaufen, sagt der Geschäftsführer der Schule, Christopher Steinke. Die Lehrerin habe den Schülern erlaubt, für ein Unterrichtsprojekt zur Wahl auch Politiker einzuladen. Erst am Abend vorher habe sie mitbekommen, dass eine Arbeitsgruppe den Besuch der Rechtsextremen organisiert hatte. Die Pädagogin, bedauert Steinke, sei "blauäugig" und "überfordert" gewesen. Sie habe "sehr unbedacht" gehandelt.
Inzwischen dürften Lehrerin wie Schüler zumindest ein plastisches Bild davon haben, wie rechtsextreme Propaganda funktioniert. Denn die NPD feierte die Schulvisite prompt als Beweis für ihren erfolgreichen "Kampf um die Jungwähler" und jubilierte in einer Pressemitteilung: "Während die Schülerinnen und Schüler nichts Anrüchiges an den erarbeiteten NPD-Thesen finden konnten, bemühte sich die ganz offensichtlich PDS-nahe Lehrerin, die Klasse einzuschüchtern."
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