Donnerstag, Juni 17, 2004
Jungle World ··· 25/2004 Dossier ··· Opas Oradour
Vom Reiseführer bis zum »Ploetz«: In Deutschland bestimmt die Version der Täter bis heute die Darstellung des SS-Massakers. Von Kerstin Eschrich
Wer im Limousin Urlaub machen will und seine Informationen dem seither nicht wieder aufgelegten DuMont Kunst-Reiseführer »Das Limousin« von 1992 entnimmt, ist schlecht beraten. Unter dem Stichwort Oradour-sur-Glane heißt es: »Auf dem Wege von Limoges zu den Monts de Blond kommt man durch Oradour-sur-Glane, einen Ort, der in diesem Jahrhundert Schlimmes erleben musste. Am 9./10. Juni 1944 gab es hier über 600 Tote. Besatzungssoldaten, am 10. Juni auf der Suche nach einem von der Résistance entführtem Offizier und einem Führungsstab der Widerstandskämpfer, fanden nach ihren Berichten am Ortsrand von Oradour-sur-Glane die Leichen eines am Vortag von den Maquisards überfallenen Verwundetentransports und in den Häusern des Dorfes versteckte Waffen und Munition. Daraufhin erschossen sie die meisten aufgegriffenen Männer als Partisanen und brannten die Häuser nieder. Viele der Frauen und Kinder, in die Kirche gesperrt, kamen bei dem Brand ums Leben. Die Ruinen und ausgebrannten Mauerreste sind heute eine eingezäunte Geisterstadt und ein gut organisiertes, viel besuchtes Touristenziel. Einige der Objekte, die dem Flammeninferno entgingen, sind im Ort ausgestellt; für die Kirchenruine steht ein Führer zur Verfügung.«
Das ist die Version, die von der SS über das Verbrechen an der Bevölkerung von Oradour in die Welt gesetzt wurde. Die Tat wird und wurde als Maßnahme gegen angebliche Waffenlager des französischen Widerstands und als Repressalie für »heimtückische Partisanenangriffe« ausgegeben. So behauptet der vormalige SS-Obersturmbannführer Otto Weidinger in seinem Buch »Division Das Reich«, man habe »am Ortsausgang von Oradour-sur-Glane die Überreste einer deutschen Sanitätsstaffel gefunden, welche mit allen Verwundeten offensichtlich bei lebendigem Leib verbrannt sind«. Zudem schreibt er, in den Häusern habe sich Munition befunden. Diese Lüge findet sich auch im Tagesbericht des SS-Regiments »Der Führer« für den 11. Juni 1944: »Nach Durchsuchung des Ortes wurde dieser niedergebrannt. Fast in jedem Haus war Munition gelagert.« Behauptungen, die entgegen allen Tatsachen auch heute noch verbreitet werden.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Aussagen des SS-Obersturmführers Heinz Barth, der als einer der wenigen Mörder von Oradour überhaupt vor Gericht gestellt wurde und als einziger vor ein deutsches. Ihm wurde 1983 in der DDR vor dem Ersten Strafsenat des Stadtgerichts Berlin der Prozess gemacht. Barth war in Oradour Führer des Ersten Zuges des Panzergrenadierregiments »Der Führer«. 45 Soldaten waren ihm unterstellt, denen er u.a. den Befehl gab, 20 Männer, die in einer Garage eingesperrt waren, zu erschießen.
Barth sagte aus: »(Von SS-Hauptsturmführer Otto Kahn; Anm. K.E.) erhielt ich den Befehl, mit einer Gruppe von Männern meines Zuges Personen zu erschießen, die sich in einem garagenähnlichen Gebäude befanden. Sie standen in Zweierreihen. Es handelte sich um eine Männergruppe von 20 Personen im Alter von 20 bis 50 Jahren. Es können auch Jüngere dabei gewesen sein. Die Gruppe war erregt. Es war mir gesagt worden, dass, wenn ein Schuss als Signal in die Luft abgegeben wird, durch mich zu befehlen sei: ›Legt an, Feuer!‹« Befragt vom Vorsitzenden Richter Dr. Hugot, ob er erschrocken gewesen sei über diesen Auftrag, verneinte er und erklärte, dass er »den Befehl kannte«.
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