Donnerstag, Juni 17, 2004
Jungle World ··· 25/2004 Dossier ··· Zum Beispiel Oradour
Im europäischen Gedenken haben die Opfer der deutschen Verbrechen nichts verloren. Von Tjark Kunstreich Mit den Feiern zum 60. Jahrestag der Landung in der Normandie beginnt ein bunter Reigen von Gedenktagen, der bis zum 8. Mai 2005 andauern wird. Die Tage der Befreiung von Orten und KZ und die Tage, an denen Deutsche zu Opfern wurden, werden gleichberechtigt nebeneinander stehen in einem Europa, in dem, wie Gerhard Schröder es im Spiegel treffend sagte, nicht nur der Zweite Weltkrieg, sondern auch die »Nachkriegsordnung« überwunden wurde. Über die erstmalige Einladung eines deutschen Regierungschefs zu den Feierlichkeiten in der Normandie sagte Schröder: »Der Inhalt dieser Einladung heißt doch: Der Zweite Weltkrieg ist endgültig vorüber.« Zu verdanken haben die Deutschen die Einladung dem französischen Präsidenten Jacques Chirac, jedoch wäre es verfehlt, so zu tun, als sei dies etwas Neues, gar ein Widerspruch zur bisherigen Politik Frankreichs gegenüber Deutschland, im Gegenteil. Sie war und ist geprägt vom uneingestandenen Versagen der Linken vor dem deutschen Einmarsch 1940, als man auf Appeasement statt auf Aufrüstung setzte und dem deutschen Angriff nicht standhalten konnte, und von der Kollaboration weiter Teile der bürgerlichen Rechten mit den deutschen Besatzern im Vichy-Regime, das weit mehr war als eine Marionettenregierung. Über beiden Tatbeständen lag ein jahrzehntelanges Schweigen, das Legendenbildung ermöglichte: über die Einheit der Grande Nation im Widerstand gegen die Okkupanten, die es ebenso wenig je gab wie den »sauberen Krieg« der Wehrmacht in Frankreich – Legenden, an denen fast alle politischen Fraktionen der Nachkriegszeit ein Interesse hatten. Wie in Deutschland galten die Überlebenden schon früh als »Störenfriede der Erinnerung« (Eike Geisel), wenn sie es wagten, die Beteiligung französischer Beamter an der Deportation und Ermordung der französischen Juden anzuklagen; wenn sie auf die Verbrechen von Wehrmacht und SS hinwiesen, denen Tausende zum Opfer fielen und an denen in nicht geringem Ausmaß auch französische Staatsbürger beteiligt waren. Auch die Tatsache, dass im bewaffneten Widerstand mehrheitlich Kinder von Einwanderern und Flüchtlinge kämpften, wurde unter den Teppich gekehrt. Die Kommunistische Partei Frankreichs forderte nach dem Krieg ehemalige Kombattanten auf, ihre jüdisch-polnischen Namen »einzubürgern«, d.h. französische Namen anzunehmen.
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