Donnerstag, Juni 17, 2004
junge welt vom 17.06.2004 - Als Hitlers Herrenreiter baden ging
Heute vor 70 Jahren hielt Vizekanzler Franz von Papen in Marburg eine NS-kritische Rede, die zum Vorspiel für ein Blutbad wurde
Als Hitlers Vizekanzler Franz von Papen (1879–1969) am 17. Juni 1934 in Berlin das Junkers-Flugzeug besteigt, überreicht ihm sein Sekretär das Manuskript jener Rede, die er später am selben Tag in der Aula der altehrwürdigen Marburger Universität halten wird. Geschrieben hat sie Edgar Julius Jung, sein Freund und Texter. Von Papen verbringt seine Tage als beliebter Redner bei gesellschaftlichen Anlässen aller Art. Als der Vizekanzler auf dem Flug ins mittelhessische Gießen den Redetext durchliest, ist ihm noch nicht klar, daß er eine geistige Zeitbombe in den adligen Händen hält. Der Marburger Universitätsbund fühlt sich geschmeichelt, daß ein so hochrangiger Vertreter des Staates wie von Papen dessen 14. Hauptversammlung durch seine Anwesenheit schmückt. Die alte Aula mit ehrwürdigen Historiengemälden und historisierenden Bogenfenstern ist mit Fahnen und Blumengebinden dekoriert. Verbindungsstudenten im vollen Wichs umrahmen das Publikum, in ihre Reihen mischen sich zahlreiche SA-Männer. Gegen das Monopol der NSDAP Während von Papen seine Rede hält, verlassen immer mehr Corpsstudenten den Saal, um sofort ein Protesttelegramm an Hitler zu schicken. Die SA-Leute folgen ihnen auf dem Fuß. Das bürgerliche Publikum bleibt, gefesselt von dem Vortrag des Vizekanzlers. Denn in höflichen, aber bestimmten Worten äußert von Papen herbe Kritik am sich erst allmählich etablierenden Naziregime. Der Text mahnt die Braunen, sich nicht allzu selbstherrlich aufzuführen: Ein Mindestmaß an Meinungs- und Pressefreiheit sei zu wahren. Vor allem, so von Papen, sollen sich die Nazi-Herren nicht allzusehr von den gemeinsamen abendländischen Werten des Christentums entfernen, indem sie einem halbreligiösen Materialismus huldigen. Manche rhetorische Spitze richtet sich deutlich an die Adresse der SA.
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