Mittwoch, Februar 23, 2005

taz 23.2.05 Der Feind steht rechts der Elbe

Schleswig-Holstein zeigt: Die NPD ist keine Partei der Unterschichten, sondern eine Ostpartei. Die Rechten sind dabei, der PDS dort den Rang abzulaufen, wo man sich als betrogene Gemeinschaft fühlt. Die Auseinandersetzung mit dieser Mentalität ist überfällig - in Ost und West Ein Gerücht ist nicht totzukriegen: Der Erfolg der NPD hänge mit sozialen Problemen zusammen. Die These wird in einer klassischen und in einer modernen Variante angeboten. Klassisch: Die hohe Arbeitslosigkeit ist schuld. Zuletzt argumentierte so Edmund Stoiber, der die erfolglose Arbeitsmarktpolitik von Rot-Grün für die Wahlerfolge der NPD verantwortlich machte. Die modernere Variante dieser These verwendet neuere soziologische Erkenntnisse. Statt des Millionenheers der Arbeitslosen wird nun ein neues Subproletariat als potenziell rechtsextrem ausgemacht: der deutsche "White Trash", der vom Sozialstaat materiell ruhig gestellt wird, aber von Bildungschancen und Lebensstilen der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen bleibt. Die bei McDonald's speisen, ihre Freizeit vor dem Fernseher verbringen und ihre Kinder Zigaretten holen schicken statt in die Jugendkunstschule: Warum sollen die nicht auch NPD wählen? Wer arm ist, wählt Nazis? Ob in seiner klassischen oder in seiner modernen Variante, es läuft auf die Unterstellung hinaus: Wer arm ist, wählt Nazis. Dabei ist die Vorstellung, der Erfolg der NPD sei mit bestimmten sozialen Verwerfungen erklärbar, ganz irrig. Dass die Arbeitslosenzahl die historische 5-Millionen-Marke überschritt, hat der NPD nicht genutzt. Sie ging vielmehr bei der anschließenden Landtagswahl in Schleswig-Holstein unter - obwohl die Partei stark in den Medien war und sich mit der Visaaffäre ein Anti-Ausländer-Thema geradezu aufdrängte. Man wende nicht ein, im Norden sei die Welt noch in Ordnung. An der Küste gibt es Massenarbeitslosigkeit und in Kiel und Neumünster kriselnde Quartiere. Nein, die NPD hat hier keine Rolle gespielt und sie wird auch bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai keine Rolle spielen. Obwohl im Ruhrgebiet mit Arbeitslosigkeit und niedergehenden Großstädten soziale Verwerfungen von ostdeutschen Dimensionen schon lange gegeben sind. Parallelgesellschaft Ost Was für das Kreuz in der Wahlkabine gilt, gilt noch stärker für die Präsenz auf der Straße: In den subproletarischen Milieus von Berlin, Hamburg, Köln und Duisburg gibt es Nazi-Alltagskultur nur in verschwindenden Spuren. Das liegt schon daran, dass die deutsche Unterschicht heute kaum mehr deutschstämmig ist. Skinheads können in ostdeutschen Plattenbauvierteln (in denen in Berlin mit die höchsten Durchschnittseinkommen der Stadt verdient werden) national befreite Zonen errichten. Nicht aber in Berliner Problemkiezen, in Duisburg-Marxloh oder Köln-Mülheim. Rechtsradikalismus ist in Deutschland kein Problem der vielen sozial marginalisierten Randgruppen, sondern der größten deutschen Parallelgesellschaft: des ostdeutschen Mainstream.

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