Mittwoch, Januar 04, 2006
Jungle World ··· 1/2006 Provinz ··· Reich im Heim
Jahrelang lebte Alfred Mathias Concina unbehelligt im sächsischen Freiberg. Erst vor kurzem machte eine alternative Stadtzeitung auf den verurteilten Kriegsverbrecher aufmerksam.
Das Altersheim liegt in einer Plattenbausiedlung der sächsischen Kleinstadt Freiberg. Freundlich wirkt das sanierte Gebäude. In ihm verbringen 147 Menschen ihren Lebensabend, unter ihnen der 86jährige Alfred Mathias Concina. Bis kurz vor Weihnachten lebte er unerkannt in dem Heim. Eine Mahnwache machte kürzlich darauf aufmerksam, dass er SS-Unterscharführer der 16. Panzergrenadier-Division »Reichsführer SS« war. Concina wurde im Sommer 2005 in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt. Im August 1944 war er an dem grausamen Massaker im toskanischen Bergdorf St’ Anna di Stazzema (Jungle World, 26/05) beteiligt. Die SS-Division wollte dort angeblich gegen Partisanen vorgehen, die es in dem Dorf aber nicht gab. 560 Menschen wurden damals erschossen und verbrannt, unter ihnen 120 Kinder. Das jüngste Opfer war 20 Tage alt. Das Urteil des Militärgerichts von La Spezia hat für Concina und neun andere Verurteilte jedoch keinerlei Auswirkung. Eine Strafe müssen sie nicht antreten, da Deutschland sie nicht ausliefert. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt zwar seit über drei Jahren, aber zu einem Prozess kam es bisher nicht.
Wenige Tage vor Weihnachten demonstrierten rund drei Dutzend Menschen vor dem Altersheim in Freiberg. Sie forderten »die sofortige Eröffnung eines Strafverfahrens gegen die Mörder von St’ Anna di Stazzema in der Bundesrepublik«. Zu der Mahnwache hatte die Jugendinitiative »Buntes Leben« der alternativen Stadtzeitung FreibÄrger aufgerufen. Aufgrund von Recherchen der Zeitung war überhaupt erst bekannt geworden, dass ein mutmaßlicher SS-Mörder in Freiberg lebt. »Die Mahnwache war erfolgreich, weil die lokale Presse daraufhin reagiert hat. So wachsen das öffentliche Interesse und der Druck auf die Staatsanwaltschaft«, erklärte Clara-Anne Bünger, Versammlungsleiterin und Sprecherin der Jugendinitiative.
Zur Kundgebung waren aber nicht allein Jugendliche und einzelne Mitglieder der Linkspartei gekommen. 20 Neonazis aus dem Wohngebiet stellten sich nur wenige Meter neben den Demonstranten auf, woran sie die Polizei zunächst nicht hinderte. Wenig begeistert von der Mahnwache war auch die Geschäftsführerin der Seniorenheime Freiberg, Gudrun Hein. Sie sei nicht über die Aktion informiert worden und habe das Gefühl, die Kundgebung richte sich gegen das Heim, erklärte sie. Einem Sprecher riss sie sogar das Mikrofon aus der Hand, als er darauf hinwies, dass die Heimleitung bisher zu dem Fall geschwiegen habe. Der Kreisvorsitzende der Linkspartei, Achim Grunke, sagte ebenfalls, die Organisatoren der Mahnwache sollten sich kooperativer gegenüber der Heimleitung verhalten. »Man muss die Ängstlichkeit verstehen, schließlich ist der Ruf des Heims gefährdet.«
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