Mittwoch, September 21, 2005

Jungle World ��� 38/2005 Feuilleton ��� Ein unanständig anständiger Mann

Der Judenretter als Säufer, Womanizer und Spion: Eine neue Biografie versucht zu erklären, weshalb Oskar Schindler trotzdem ein Held war Noch einmal Oskar Schindler?« fragte ich mich, als ich Ende November in der New York Times die Besprechung einer soeben in den USA erschienenen Biografie las. Was treibt einen anerkannten amerikanischen Osteuropa-Historiker dazu, sieben Jahre zu recherchieren, um »die wahre Geschichte« über einen Mann zu erzählen, die in ihren Grundzügen doch wirklich alle kennen? Selbstverständlich gibt es auch »neue Erkenntnisse«. Aber rechtfertigen sie einen solchen Aufwand? David M. Crowes wichtigste Neuigkeit ist die, dass es die eine berühmte Liste mit den Namen der zu rettenden Juden gar nicht gab. Der Historiker kommt auf insgesamt 13 Listen, mit deren Erstellung Schindler nichts zu tun hatte, weil er zu der Zeit ihrer Entstehung in Gestapohaft gesessen hat. Zuvor hatte er versucht, den KZ-Kommandanten Amon Göth zu bestechen, um die Deportation von Juden nach Auschwitz zu verhindern. Aufsehen hat das Buch in den USA aber nicht wegen dieser Ergebnisse erregt, sondern weil Crowe sehr ausführlich auf Schindlers Vorkriegsbiografie und Privatleben eingeht. Dass der Mann, dem die größte deutsche Rettungsaktion von Juden während des Nationalsozialismus gelang, privat so gar kein Held war, stößt gerade in den USA, wo die Political Correctness auf einen untadeligen Lebenswandel großen Wert legt, auf Verwunderung. Crowe gab im Tagesspiegel zu Protokoll, dass er den Lifestyle Schindlers, seine Frauengeschichten und seinen Alkoholkonsum, für unmoralisch hält; dem Buch ist diese Ablehnung ebenfalls anzumerken. Zumindest im amerikanischen Original ist der Widerwille, wenn nicht gar Ekel des Autors gegen den Mann zu spüren, der dem Historiker in keiner Weise prädestiniert erscheint, die Juden, die für ihn in seiner Fabrik in Brünnlitz arbeiteten, vor der Vernichtung zu retten, indem er sie zu unabkömmlichen Arbeitern mit kriegswichtigen Aufgaben erklärte. Es sind allerdings nicht nur moralische Anwürfe gegen Schindler, die Crowe erhebt, sondern auch politische. Die typische Karriere eines sudetendeutschen Nazis, der in der Henlein-Partei aktiv war, der schon vor der Besetzung der Tschechoslowakei für die deutsche Abwehr arbeitete und der die polnischen Uniformen für den fingierten Angriff auf den Sender Gleiwitz am 31. August 1939 besorgte, wie Crowe sie nachzeichnet, wirkt alles andere als sympathisch. In der Schilderung wird aber zugleich eine Ambivalenz sichtbar, die das anhaltende Interesse für Schindler in den USA erklären könnte. Seit Steven Spielbergs Film gilt er dort als der deutsche Anti-Nazi-Held schlechthin. Er ist in bester amerikanischer Tradition ein Einzelkämpfer, der keine Ideologie kennt, der lediglich Profit machen will (das ist ja in den USA nichts Verwerfliches, im Gegenteil), dafür manche Grenze überschreitet, aber schließlich eine moralische Läuterung erfährt. Das deutsch besetzte Polen erscheint in »Schindlers Liste« wie der wilde Westen, es herrscht ein Zustand der Gesetzlosigkeit, in dem es auf den Einzelnen ankommt, und Schindler ist der bad guy, der zum good guy wird, eine Geschichte, die Amerika liebt; es ist das Versprechen, dass es immer einen Neuanfang geben kann, wenn du es willst.

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