Donnerstag, März 09, 2006

Jungle World ··· 10/2006 Inland ··· Pullachs arabische Filiale

Die Arbeit deutscher Geheimdienste im Irak wird zum Skandal hochgespielt. Dabei sind Spione aus Deutschland schon lange im Nahen Osten aktiv Die Frankfurter Allgemeine Zeitung rätselt bis heute. Konzentrische Kreise, eine ­dicke, schneckenförmige Linie, verwirrende Pfeile – ist hier eine frühneuzeitliche astronomische Uhr abgebildet? Eine Fantasy-Residenz vielleicht oder gar ein Landeplatz für Außerirdische? Vielleicht handelt es sich auch um einen Bauplan Bagdads aus dem 8. Jahrhundert, gibt die Zeitung zu bedenken. Man soll nichts ausschließen. Aber kann das wirklich der Verteidigungsplan Saddam Husseins für die irakische Hauptstadt sein? Mit der Veröffentlichung einer arabisch beschrifteten Skizze hat die New York Times am 27. Februar die jüngste Enthüllungsrunde um Kriegs- und Folterkooperationen von Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundeskriminalamt (BKA) mit der US-Armee eröffnet. Die Grundzüge der geheimdienstlichen Zusammen­arbeit zwischen Deutschland und den USA wäh­rend des Irak-Kriegs sind seitdem einigermaßen klar. Nicht mehr bestritten wird, dass wenige Wochen vor Beginn der Kriegshandlun­gen zwei BND-Agenten – Reiner M. und Holger H. – in Bagdad eintrafen. Nicht bestritten wird auch, dass ein dritter BND-Mann mit dem Decknamen »Gardist« in die militärische US-Kommandozentrale in Doha (Katar) entsandt wurde. Auch über den Inhalt der BND-Kommunikation ist inzwischen einiges bekannt. Mindestens 25 Berichte lieferte »Gardist« den US-Militärs, nahm 33 amerikanische Anfragen über die Lage in Bagdad entgegen und erhielt von den dort stationierten deutschen Kollegen 18 Antworten. Zwischengeschaltet war vermutlich die BND-Zentrale in Pullach. Kriegsrelevant war zumindest ein Teil der Informationen zweifellos. »Acht von ihnen«, teilt die New York Times mit Bezug auf den geheimen Bericht der Bundesregierung mit, »beschrieben die Art der Militär- und Polizeipräsenz.« Zwei Meldungen enthielten die geographischen Koordinaten von Aufenthaltsorten irakischer Truppen. Strittig ist vor allem die Bedeutung jener Zeichnung, welche die FAZ an eine frühneuzeitliche astronomische Uhr erinnert. Die US-Armee habe die Skizze kurz vor Kriegsbeginn vom BND erhalten, berichtet die New York Times unter Berufung auf eine geheime amerikanische Militärstudie. Man kenne die Zeichnung überhaupt nicht, behaupten der BND und die Bundesregierung steif und fest. Überdies sei es zwei­felhaft, ob es sich dabei wirklich um den irakischen Verteidigungsplan handele. Außerdem scheint fraglich, inwieweit die Zeichnung die tatsäch­lichen Begebenheiten widerspiegelt. Den zentralen Masterplan Saddam Husseins zu beschaffen, wäre jedenfalls eine geheimdienstliche Meisterleistung gewesen. Gute Verbindungen in die arabischen Staaten hat der deutsche Auslandsgeheimdienst schon lange. Die Traditionslinien gehen zurück bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als die Deutschen begannen, die ara­bische Bevölkerung zu ihren Gunsten gegen die britische und französische Kolonialkonkurrenz zu mobilisieren. Dasselbe Agitationsmuster machten sich später die Nazis zunutze; und kaum hatten die Alliierten sie von der Macht entfernt, begannen ehemalige NS-Funktionäre, die geheimdienstlichen Verbindungen in die arabischen Staaten wieder zu erneuern. Die USA hatten den Vorläufer des BND, die »Organisation Gehlen«, zum Zwecke der Ost­spio­nage aufgebaut. Geheimdienstchef Rein­hard Gehlen jedoch dachte nicht daran, die deutsche Rolle darauf zu beschränken. Die frühesten Beispiele bundesdeutscher Nahostspionage stammen bereits aus den fünfziger Jahren. Damals wurde Otto Skorzeny, seit 1943 im »Amt VI – Auslandsnachrichtendienst« des Reichssicherheitshauptamtes tätig, Berater des ägyp­tischen Staatschefs Nasser. Zahlreiche alte Nazis tummelten sich zu dieser Zeit in Ägypten und wirkten unter anderem am Aufbau eines gegen Israel gerichteten Raketensystems mit. Gehlen nutzte die günstigen Umstände und beauftragte Skorzeny, in Ägypten geheimdienstliche Strukturen zu etablieren.

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