Mittwoch, März 23, 2005
Zeitgeschichte: Teufel im Barackenmeer - SPIEGEL ONLINE
War der KZ-Arzt und Mörder Josef Mengele ein Spitzenforscher der Genetik? Vergangene Woche legten Historiker in Berlin neue Erkenntnisse vor: Der SS-Mediziner betrieb seine Gräuelexperimente in Auschwitz im Auftrag deutscher Elitelabors. (...)
Ausgemacht schien nur, dass hier ein "Pseudowissenschaftler" am Werk war. Auf eigene Faust, so heißt es in der großen Mengele-Biografie von Ulrich Völklein, habe er in dem Vernichtungslager "wie im Blutrausch gewütet".
Doch solche Ansichten treffen den Kern offenbar nicht. Fünf Jahre lang hat eine Historikerkommission die Archive der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) in Berlin durchkämmt. Deren Vorläuferorganisation, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), brachte über 20 Nobelpreisträger hervor.
Vorige Woche traf sich die Gruppe in Berlin zur Abschlusstagung. Ergebnis: Zwischen den schmucken Laborvillen der KWG, von denen viele in Dahlem lagen, und der von 16 Kilometer Stacheldraht umgebenen Todesfabrik in Oswiecim bestand ein dichtes "Netz an Verbindungen":
* Mengele bereitete in Auschwitz seine Habilitation vor,
* er war an einem Protein-Projekt beteiligt, für das auch der Nobelpreisträger Adolf Butenandt einen Mitarbeiter abgestellt hatte,
* er hielt engen Kontakt zu seinem Doktorvater, dem international angesehenen Zwillingsforscher Otmar von Verschuer, der 1942 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, Erblehre und Eugenik (KWIA) übernommen hatte. (...)
Klarer liegt der Fall bei Verschuer (den die "New York Times" noch 1928 als Superstar gefeiert hatte). Acht seiner Mitarbeiter waren zugleich in der SS. Auf einer Personalliste des Instituts findet sich auch Mengeles Name. Der Historiker Benoît Massin stuft dessen Horrorlabor als "Außenstelle Auschwitz" des KWIA ein.
Tatsache ist: Zwischen Berlin und dem Todeslager zog sich ein blutiger Pfad. Über eine Strecke von 500 Kilometern lief ein Organhandel per Post. Verschuer erhielt:
* mindestens vier Augenpaare von Zwillingskindern sowie weitere 20 bis 50 Augäpfel,
* Blutproben von "200 Personen verschiedenster rassischer Herkunft",
* Hunderte Humanpräparate, darunter abgeschnittene Kinderköpfe, Skelette von Juden, "Doppelmissbildungen aller Art" sowie "Früchte und Neugeborene von EZ und ZZ" (gemeint sind ein- und zweieiige Zwillinge).
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