Dienstag, April 04, 2006
Berliner Zeitung: Seite 3 - Der Fortschritt in Neukölln
Die Rütli-Schule war nicht immer das, was sie heute ist. In der Weimarer Republik war sie eine der modernsten Lehranstalten zur Integration von Proletarierkindern
Irgendwann hat der Richter des Volksgerichtshofes genug. "Ich möchte nun keine Loblieder über die Rütli-Schule mehr hören", schreit er in den Saal. Es ist Herbst 1942, und das Nazi-Gericht verhandelt wegen Hochverrats gegen die Rütli-Gruppe, acht ehemalige Schüler jener heute so übel beleumdeten Schule in Berlin-Neukölln. Sie hatten Flugblätter unter dem Titel "Das freie Wort" in den Straßen um den Reuter-Kiez verteilt. Am 9. Oktober 1942 werden sie in Plötzensee hingerichtet. (...) Pädagogen wie Maria Montessori, Fritz Karsen oder Peter Petersen entwickelten ihre Ideen für eine moderne Schule. Eine Schule, die gerade in den sozialdemokratisch und kommunistisch geprägten Arbeitervierteln daran gehen sollte, das von der Klassengesellschaft geprägte Bildungssystem radikal zu verändern. "Ein Arbeiterbezirk wie Neukölln stellt dem Schulpolitiker die eindeutige Aufgabe, für die Massen eine Schule zu schaffen, die jedem die gleiche Lernmöglichkeit gibt. Also ist die Einheitsschule gefordert. Diese muss so gestaltet sein, dass sie jeden Schüler auf das Leben in der Gesellschaft unserer Zeit vorbereitet", schreibt Karsen 1928. Ihm geht es um "eine einheitliche Schule vom Kindergarten bis zur höheren Schule".
Zu dieser Zeit baut er in Neukölln das Kaiser-Friedrich-Realgymnasium zur Karl-Marx-Schule um, nach heutigen Begriffen eine kooperative Gesamtschule. Die gleichen Ideen verfolgen die Lehrer an der Rütli-Schule, die eine der ersten Berliner Lebensgemeinschaftsschulen wird.
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