Mittwoch, August 11, 2004
Jungle World 34/2004 - Wieder in Wunsiedel
Tausende Neonazis aus ganz Europa werden am 21. August zum Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel erwartet
Es ist wieder August. Seit 17 Jahren marschieren in dem schönen Sommermonat Neonazis zu Ehren von Rudolf Heß im bayerischen Wunsiedel auf. Dort liegt der frühere Stellvertreter Adolf Hitlers begraben. Die Stadt ist nicht erfreut über das, was ihr zweiter Bürgermeister, Matthias Popp (CSU), die »Jahreshauptversammlung der Rechtsextremisten« nennt. Dass sich der Ort einmal im Jahr »quasi im Belagerungszustand« befinde, könne man ja noch verdrängen, sagte er der Jungle World. Problematischer sei aber die Langzeitwirkung auf das Image Wunsiedels, klagt Popp. Der Aufmarsch der Rechten wiege in der Berichterstattung schwerer als die 120 000 Besucher der »Luisenfestspiele«.
Dabei hatte man zumindest in Wunsiedel bis zum Jahr 2001 neun Jahre lang Ruhe vor den Neonazis. Nach dem Selbstmord von Heß am 17. August 1987 im Kriegsverbrechergefängnis Spandau marschierte bis zum Jahr 1989 nur der harte Kern der deutschen Neonaziszene durch die Stadt. Im nationalen Taumel der deutschen Einheit kamen 1990 jedoch mehr als 1000 Neonazis, was damals selbst die Organisatoren überraschte.
Seit 1991 gelang es dem Neonazianwalt Jürgen Rieger jedoch nicht mehr, die erlassenen Demonstrationsverbote gerichtlich aufheben zu lassen. So mussten die Neonazis in den neunziger Jahren vor der Polizei und den Antifas in andere Orte, am Ende sogar ins Ausland, ausweichen. 1994 geriet der Aufmarsch zu einem Desaster. 180 Neonazis, die vor der deutschen Botschaft in Luxemburg demonstrieren wollten, wurden festgenommen und nach Deutschland abgeschoben. Die Teilnehmerzahl nahm in den darauffolgenden Jahren kontinuierlich ab.
Die Wende kam mit dem so genannten Aufstand der Anständigen im Jahr 2000. Das zivilgesellschaftliche und regierungsamtliche Engagement gegen den Rechtsextremismus führte einerseits zu Umbrüchen in der autonomen Antifa. Viele Aktivisten wandten sich verstärkt anderen Themen zu. Andererseits geriet die NPD unter Druck, weil das Verbotsverfahren gegen die Partei anlief. Sie hielt sich beim Anmelden und Organisieren großer Aufmärsche zurück.
Das nahmen parteiunabhängige »Freie Nationalisten« wie etwa Christian Worch zum Anlass, auch ohne den Schutz durch das Parteienprivileg eigene Aufmärsche anzumelden. Worch schrieb im Forum des »freien Widerstandes«: »Womit die NPD nicht gerechnet hat, war der Umstand, dass parteifreie Kräfte schon lange bereit waren, unser eigenes Demonstrationsrecht nötigenfalls auch einmal vor dem Karlsruher Höchstgericht durchzusetzen.«
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