Dienstag, September 14, 2004

Frankfurter Rundschau online - Bieder, besorgt und bürgernah

Das Erscheinungsbild der Neonazis in Ostdeutschland hat sich verändert: Aus martialischen Skinheads sind kommunale politische Akteure geworden. Doch auch die Zivilgesellschaft ist wachsamer. Wenn eintritt, was Meinungsforscher prognostizieren, dann wird sich am kommenden Wochenende ein politisches Erdbeben ereignen. Die DVU wird ihr Wahlergebnis von 1999 behaupten und erneut in den Brandenburger Landtag einziehen. Die NPD könnte in Sachsen erstmals seit 30 Jahren wieder in ein Landesparlament einziehen. Das Erdbeben hat sich lange angekündigt. Auf das Potenzial haben Experten seit Jahren verwiesen. Rechtsextremismus und Neonazismus können in Ostdeutschland nicht nur auf eine mehr als 15-jährige Entwicklung zurückblicken. Mittlerweile durchläuft dort die vierte Generation Jugendlicher ihre Sozialisation in der rechten Subkultur. Doch die Szene, aus der die Parteien sich rekrutieren, hat sich stark gewandelt. Aus einer immer noch latent gewaltbereiten Jugendszene heraus hat sich eine politische Bewegung formiert, die professionell auftritt und auf Außenwirkung achtet; die zumindest lokal kampagnenfähig und in vielen Städten und Gemeinden Ostdeutschlands kommunaler Akteur ist. Gleichzeitig spielen ideologische Gegensätze und Auseinandersetzungen zwischen Gruppierungen immer weniger eine Rolle. Glatze und Springerstiefel haben zudem als Szene-Insignien ausgedient, die Aktivisten kleiden sich modisch, tragen unauffällige Frisuren und wirken längst nicht mehr abschreckend. Das bunte Völkchen beispielsweise, das kürzlich im vorpommerschen Wolgast zu einer Demonstration gegen Hartz IV aufgerufen hatte, nennt sich nicht mehr Kampfbund oder Kameradschaft ,sondern "Bürgerinitiative Schöner Wohnen in Wolgast". Erst als die etwa 30 Demonstranten "Hartz IV ist unsozial, unser Widerstand ist national" skandierten, war klar: Hier demonstrieren nicht besorgte Bürger, sondern überzeugte Neonazis.

Keine Kommentare: