Mittwoch, Februar 15, 2006
Jungle World ··· 7/2006 Inland ··· Dialog im Psychokrieg
Während die Bundesregierung wegen des Karikaturenstreits das Gespräch mit den Moslems vertiefen will, glauben viele Linke an eine Kampagne, die einen Angriff auf den Iran vorbereiten soll
Der Begriff dieser Tage lautet zweifellos »Dialog«. Er soll geführt werden, koste es, was es wolle. Die Angst, dass es auch in Deutschland zu gewalttätigen Protesten wegen der dänischen Mohammed-Karikaturen kommen und die ganze Multikultur oder, je nach Sicht der Dinge, »Parallelgesellschaft« den Indigenen hierzulande außer Kontrolle geraten könnte, war in der vorigen Woche allenthalben spürbar. Um guten Willen zu beweisen, wurde eigens eine Bundestagsdebatte zum Thema angesetzt, zu der man die Vertreter islamischer Verbände als Zuhörer einlud. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und sein türkischer Amtskollege Abdullah Gül riefen in einer gemeinsamen Erklärung, die von der Bild-Zeitung und der türkischen Hürriyet am Samstag veröffentlicht wurde, Christen und Muslime zu Respekt und zu Toleranz auf.
Aber das Wort Dialog ist schnell dahingesagt. Worüber gesprochen werden soll, ist auch in der Debatte am Freitag nicht klar geworden. Geht es um einen »Islam-Dialog«, wie die Parteivorsitzende der Grünen, Claudia Roth, es ausdrückt? Oder um den »Dialog der Kulturen«, wie die meisten Rednerinnen und Redner es formulierten? Erlebt die »Leitkultur« eine Renaissance? Schwebt manchen Politikern der »kritische« bzw. »konstruktive Dialog« vor, den Deutschland bereits seit einigen Jahren mit dem Iran führt, mit den bekannten Ergebnissen? Oder soll es gar ein sokratischer Dialog werden? Dieser beginnt mit der Selbsterkenntnis und führt zu der Einsicht, dass man nichts weiß.Manche Zeitgenossen hierzulande haben genau betrachtet keinen Bedarf an einem Zwiegespräch, schon gar nicht an einem sokratischen. Sie zeigen auch ohne »Dialog der Kulturen« ein umfassendes Verständnis für die brandschatzenden, von den Karikaturen zutiefst beleidigten Bilderstürmer und verbreiten ein Weltbild, in dem es von Schurken nur so wimmelt, die hinter den Kulissen agieren, um den Weltfrieden zu zerstören.
Eine beliebte Theorie lautet, die Karikaturen, die von der dänischen Zeitung Jyllands-Posten im vergangenen Herbst veröffentlicht wurden, hätten keinem anderen Zweck gedient, als die Muslime in aller Welt zu provozieren, sodass diese gar nicht anders konnten, als Gewalt anzuwenden. Das Bild, das die Muslime, dank dieser Provokation, von sich abgeben würden, sollte dann dazu herhalten, das »Feindbild Islam« zu verstärken, um am Ende einen Angriffskrieg gegen den Iran zu rechtfertigen. Oder so ähnlich.
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