Freitag, Februar 17, 2006

Frankfurter Rundschau online: Späte Aufklärung

Was über Jahrzehnte hinweg nur als 'Verstrickung' kritisiert wurde, lässt sich inzwischen für viele deutsche Unternehmen konkret belegen - sie machten mit dem NS-Regime gemeinsame Sache. Vielleicht hat der damalige Kanzler Helmut Kohl an diesem 12. März 1990 in Bonn etwas geahnt. Vielleicht konnte er sich im Gespräch mit dem britischen Außenminister Douglas Hurd im Zusammenhang mit der angestrebten Vereinigung der beiden deutschen Staaten vorstellen, dass es historisch Unerledigtes gab. Kohl fürchtete die Wucht, die sich mit dem Ende der Erstarrungen von Osteuropa aus entfalten könnte: Wenn jetzt eine Debatte "über Reparationen beginne", heißt es im Protokoll des Gesprächs mit dem konservativen Briten, "werde das katastrophale Wirkungen haben". Acht Jahre später fanden sich entsprechende Forderungen auf der politischen Tagesordnung der größer gewordenen Bundesrepublik. Ansprüche, die sich in einem bis dahin nicht gekannten Umfang an deutsche Unternehmen richteten. Frühere Zwangsarbeiter wollten entgangenen Lohn. Das traf die meisten Unternehmen völlig unvorbereitet. Allenfalls etwas weitsichtigeren Konzernen wie Volkswagen, die das eigene Archiv nicht nur an Jahrestagen aufschließen, war zu diesem Zeitpunkt klar, dass nach dem Ende des Kalten Krieges ein neuer Schritt der Aufarbeitung bevorstehen könnte - im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Ausbeutungspolitik. (...) In den Chroniken der meisten deutschen Firmen blieb die Zeit zwischen 1933 und 1945 ein blinder Fleck. Das machte es Kritikern vergleichsweise einfach, den Unternehmen "Verstrickungen" vorzuhalten. Eine Zuschreibung, die über mehr als fünf Jahrzehnte hinweg im Ungefähren blieb. "Verstrickung" konnte auch heißen, dass sich einzelne Manager, Ausnahmen also, im nur schwer zu überschauenden Geflecht des nationalsozialistischen Staates verfangen hatten. Erst in den vergangenen Jahren brachten Nachforschungen zumeist unter dem Druck eines drohenden öffentlichen Imageverlustes Konkretes an den Tag und ließen auch die Zuschreibung von Verantwortung zu.

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