Freitag, Dezember 16, 2005
taz 16.12.05 Ich bin unten? Ihr seid unter mir!
In der Mittelschicht wächst die Furcht vor dem sozialen Absturz - und mit ihr der Hass auf Ausländer, Frauen, Juden und Muslime, kurz: auf das Andere. Das belegt eine neue Studie des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer
Hier war das also. Hier wurde der größte politische Deal der vergangenen Jahre ausgehandelt. Hier trat Exkanzler Gerhard Schröder (SPD) bei den Koalitionsverhandlungen seiner Partei mit der Union nach langem Gewürge seinen Machtanspruch an 'Frau Dr. Merkel' ab. Hier, im prachtvollen Barockbau der 'Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft' gegenüber dem Osteingang des Reichstags in Berlin, wohnte ein paar Wochen die Macht der Republik - nun geht es hier um Machtlosigkeit, Orientierungslosigkeit und einen 'überwältigenden Kapitalismus', der nicht zuletzt durch einen 'Kontrollverlust von Politik gegenüber dem Kapital' geprägt ist.
Im 'Kaisersaal' stellt mit diesen Worten der Soziologe Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld dar, wie viel Hass es in Deutschland auf Fremde, Schwule, Frauen, Juden und Muslime gibt - und die schlechten Nachrichten prasseln auf die Zuhörer herunter wie die hunderte gemalten blauen Würfel, die die Decke des Saals zieren. Die vielleicht schlechteste der schlechten Nachrichten vorneweg: Die Fremdenfeindlichkeit steigt in Deutschland seit vier Jahren kontinuierlich an. Über 61 Prozent der Deutschen stimmen heute der Aussage ganz oder eher zu: 'Es leben zu viele Ausländer in Deutschland.' Im Jahr 2002 waren es noch etwa 55 Prozent. Der NPD-Forderung 'Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken' stimmen über 36 Prozent zu, 2002 waren es noch knapp 27 Prozent. Heitmeyer und sein Soziologenteam machen für diese Entwicklung vor allem einen Grund aus: Wo in einem Gemeinwesen Gefühle von Machtlosigkeit und die Orientierungslosigkeit zunehmen, wo die Ängste vor dem sozialen Abstieg steigen oder gar immer mehr Menschen tatsächlich sozial absteigen, wo es also zunehmende "Verstörungen", "Desintegrationsängste" und negative Zukunftserwartungen gibt - in solch einer Gesellschaft nimmt die Neigung zu, andere, schwache Gruppen wie eben Fremde, Schwule, Juden, Frauen et cetera abzuwerten: "Das machtlose Verzagen gegenüber den Starken in der Gesellschaft ist verbunden mit der Artikulation von Ungleichwertigkeit gegenüber Schwachen", bilanziert Heitmeyer.
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